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Vom „Knutschprivileg”. Oder: Radikalisierung und Sektenbildung

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Ich bezeichne mich selbst als feministisch. Das finde ich wichtig. Das heißt, in a nutshell, dass ich es ablehne, Frauen (und Männern) wegen ihres biologischen Geschlechts die Fähigkeit zu bestimmten Tätigkeiten abzusprechen. Ich trete für Gleichstellung in allen Bereichen ein, bin aber nicht blind für natürliche Ungleichgewichte: Deshalb ist bspw. ein starker Mutterschutz nach der Geburt wichtig, deshalb sind Frauenhäuser wichtig, deshalb sind Frauenparkplätze wichtig. Deshalb ist es auch moralisch richtig, dass Frauen im Einstellungsgespräch lügen dürfen, wenn sie nach ihrer Schwangerschaft gefragt werden. (Die Liste ist noch nicht einmal ansatzweise vollständig, ich belasse es aber mal dabei.)

So. Das vorab.

So einen ähnlichen Artikel habe ich vor zwei Jahren, im November 2011, schon einmal geschrieben. Den habe ich damals „Wir Hetencismänner und der Feminismus” überschrieben, er war eher versöhnlich gestimmt und ein bisschen ironisch.

Mittlerweile bleibt mir das Lachen aber im Halse stecken. Der aktuelle Anlass: Ein Beitrag bei der „Mädchenmannschaft”. Der geht ungefähr so: „Es ist falsch bzw. bringt nicht viel, sich für die Öffnung der Ehe einzusetzen, weil die eigentlichen Probleme viel grundlegender sind. Ihr habt es nicht verstanden und habt keine Ahnung.”

Auf Twitter wurde dieser Beitrag dann von einigen RadikalfeministInnen zum Anlass genommen, das Ganze weiterzustricken; dabei kam heraus, dass Heteropaaare einfach mal „nicht knutschen sollen”, also sie auf ihr sog. „Knuschprivileg” verzichten sollten, weil das nämlich schlimm für Homosexuelle sei. Überhaupt sei es auch schlimm, wenn ein Paar in Anwesenheit von Singles Händchen hält, das sei nämlich unangenehm.

Äh. Geht’s noch?

Feminismus, der mit Prüderie und Lustfeindlichkeit zu tun hat, ist ganz sicher nicht mein Feminismus. Feminismus soll laut sein und bunt und Freude bereiten, er soll nicht daherkommen wie das Pendant zu einer Kompanie calvinistischer Pfarrer.

Feminismus, der darauf hinaus läuft, sich in das Privatleben anderer einzumischen (und nichts anderes ist dümmliches Gefasel von einem sog. „Knuschprivileg”), hat mit progressiven Gedanken nichts, aber auch gar nichts zu tun. Lustfeindlichkeit ist Menschenfeindlichkeit.

Ich finde es traurig, wie sich das AutorInnenkollektiv „Mädchenmannschaft” und ihr Umfeld entwickelt hat. Mit Avantgarde hat das nichts mehr zu tun, mit Radikalisierung und Sektenbildung hingegen sehr wohl. Dazu passt auch, dass abweichende Kommentare schon seit langer Zeit nicht mehr geduldet werden — man will unter sich bleiben. Kein Gedanke ist zu radikal, immer kann man noch einmal eine Schippe drauflegen. Wer am radikalsten ist, ist auch am coolsten. Radical chic in der menschenfeindlichen Variante.

PS: Feminist bleibe ich trotzdem. Auch wenn ich jetzt vermutlich in gewissen Kreisen exkommuniziert werde. Aber das ist mir egal. Zwischen allen Stühlen habe ich mich schon immer sehr wohl gefühlt.


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